Über das Malen

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Mich hat die nächste Krankheit umgehauen; derzeit ist es alles etwas viel und der Körper sagt Stop! Daher ist mein Mann heute alleine nach Erfurt gefahren, um die Vorträge von Arno und André Stern bei einer Veranstaltung des Malortes Erfurt zu hören. André durfte ich ja bereits zweimal persönlich treffen, Arno bisher noch nicht. Mir fiel bei dieser Gelegenheit dieser Artikel ein, der seit einer Ewigkeit so halb fertig in der virtuellen Schublade schlummerte. Mit André hatte ich mich damals in unserer Schulküche 😉 bereits über das Malen unterhalten. Ich weiss von der freien Schule, dass dort eben genauso und völlig urteils- und kommentarfrei mit dem Malen umgegangen wird. Jetzt Jahre später, gibt es auch hier einen Malort, den eine unserer Töchter auch besucht. Für sie ist das eine nette Ergänzung; ich schätze, für viele ist es DER Weg, wieder eine Chance zu haben, dahin zu kommen, was Malen eigentlich ist.

Das Malen.

Alle Menschen tun es. Zumindest alle Kinder tun es erstmal. Es gleicht einem inneren Ruf, wie ein Zwang. Tief aus dem Kind heraus, auf’s Papier – oder manchmal auch auf das, was halt eben sonst gerade da ist 😉 Das Kind malt nicht für ein Ergebnis, es malt auch nicht, um sein Bild zu zeigen, es malt, weil es „muss“. Das ist eine Evolution aus sich heraus. Arno Stern hat dies erkannt und hat die kindlichen Zeichnungen weltweit untersucht über viele Jahre und zusammenhängende Muster und Entwicklungen herausgearbeitet, auf die ich heute hier jedoch gar nicht weiter eingehen will. Darum kann es ein anderes Mal gehen. Ich glaube, das Malen ist DAS Beispiel, wie eine Tätigkeit schon ganz früh fälschlich institutionalisiert wird und der Umgang teilweise dazu führt, das dem Kind der Spaß verloren geht – auf jeden Fall es sich nicht so ausleben kann, wie es eigentlich angebracht und angemessen wäre.

Malen als Bewertungsmasstab

Das Malen wird an verschiedensten Stellen nicht nur traurigerweise bewertet, sondern selbst als Bewertungsmaßstab herangezogen: in U-Untersuchungen sollen zu einem Zeitpunkt X bestimmte Zeichnungen angefertigt werden können. Die Bildungspläne bereits in den Kindergärten sehen vor, dass Kinder in einem bestimmten Alter bestimmte Malfertigkeiten an den Tag legen können sollen. Spätestens in der weiterführenden Schule dann wird gar das Malen selbst benotet. Und als größter Kritiker wir Erwachsenen selbst. Meist von Anbeginn der ersten Versuche, einen Stift oder Pinsel zu halten, wird die malende Tätigkeit des Kindes kommentiert. Da werden die ersten ungelenken Striche gelobt, nicht allzuviel später Ähnliches despektierlich als „Gekritzel“ bezeichnet – dies umso mehr, wenn es sich vielleicht mal nicht auf Papier den Weg bahnt, sondern auf Tisch oder Wand. Keine weitere Entwicklung entgeht dem strengen Auge. „Da kann man ja schon richtig erkennen, was es werden soll“, „Oh, eine Sonne“ bis hin zu „Das hast du aber prima gemacht!“ hören wir die Oma sagen oder gar uns selbst. Dann passiert, was in Folge von Bewertung über kurz oder lang immer passiert: die Bewertung (das Lob) wird irgendwann eingefordert. Das Kind beginnt, seine Werke zu zeigen, und unseren zuvor stets ungefragt abgegebenen Kommentar abzuwarten. „Mama, schau mal!“

Eine Frage der Aufmerksamkeit?

Eine Zeitlang dachte ich, da möchte das Kind eben auch einfach gesehen werden, einfach unsere Aufmerksamkeit. Ist an diesem Punkt evtl. auch manchmal so, dann kann ich -wie sonst auch auf diese Frage- meine Aufmerksamkeit hingeben, hinschauen und sagen „oh ja, ich sehe (Dich), Du hast gemalt!“ Es sorgt manchmal nahezu für Entsetzen bei meinem Gegenüber, wenn ich das sage, selbst bei „alternativ“ Lebenden oder Erziehenden; zu tief sitzt hier die bisher gehandhabte und meist ja auch selbst erlebte Einmischung. Das „Ja, ich sehe“ genügt völlig, meist ist nicht mal das erforderlich, weil das Malen wirklich von innen heraus kommt, wenn man ihm die natürliche Entwicklung lässt. Und doch kenne ich gleichsam keinen Bereich, in dem es den Erwachsenen so sehr schwer fällt, sich zurückzunehmen und herauszuhalten. Beim Malen (nicht nur dort..) scheinen wir ganz selbstverständlich anzunehmen, unser Urteil sei gefragt. Und doch, wenn wir das Kind einfach lassen, dann kann es sich da wirklich entfalten. Stellen wir ihm Material zur Verfügung, vergleichbar ein bisschen Arno Stern im Malort in der dienenden Rolle, auch wenn es gar so viel Tätigkeit unsererseits zuhause oft gar nicht braucht. Das Kind malt, das Kind produziert, und schaut sein „Produkt“ oftmals gar nicht mehr an, wenn es fertig ist. Der Weg ist das Ziel. Von uns braucht es nur die Akzeptanz dafür. Malen lassen, die Tätigkeit wertschätzen und achtsam akzeptieren.

Und oft – in den Institutionen wie auch zuhause – wird das Kind ansonsten eingeschränkt: da wird kommentiert und mit unseren erwachsenen fotogenauen Vorstellungen versehen. Da hält die Erzieherin die gemalte Hand in der Proportion für zu groß, der Opa glaubt, er habe ein Haus vor sich oder der Papa meint, Gras müsse doch grün sein. Vielleicht fühlt sich einer gar berufen, selbst mit Hand anzulegen. Dem Kind wird vermittelt, offensichtlich gibt es da was richtig oder falsch zu machen, und „richtig“ ist ihm offensichtlich nicht allein gelungen…

Ich kann gar nicht sagen, ob dieser innere Zwang, mit dem eine meine Töchter zum Stift greift, quasi wo sie geht und steht, ein Zeichen ihrer speziellen Begeisterung für das Malen ist oder ob das, entsprechendes in-Ruhe-gelassen-werden vorausgesetzt, eigentlich in jedem Fall so wäre. Aber ich weiß und ich sehe, wie sehr man dieses natürliche Bedürfnis zu malen schon bei recht jungen Kindern stören kann, so dass sie fast nicht mehr wollen. Wie traurig!

Kinderbilder sind keine Ausstellungsstücke, die aufgehängt werden oder gar im Internet gezeigt werden sollten.

An immer mehr Orten gibt es einen Malort nach Arno Stern. Der Malort kann ein geschützter Raum sein, wo ein Kind ungestört und unbeobachtet dem Malspiel nachgehen kann – und auch ein Erwachsener dies wieder neu lernen kann; denn wie viele von uns haben ihr Malspiel, ihr Spur nicht auch aufgegeben, oft schon als Kind?. Manchmal ist er einfach eine schöne Ergänzung, wenn ich schon zuhause dem natürlichen Maldrang seinen Lauf lasse und keine stark beeinflussende Institution nutze. Manchmal kann er die Insel sein, auf der es zu dieser natürlichen Entwicklung zurückgeht.

Bei unserem Schnuppern damals im Malort ist mir eine Mutter mit ihrem Sohn begegnet, das Erleben hat sich mir tief eingeprägt. Sie schnupperten ebenfalls; ich glaube, der Besuch war gar vom Kindergarten empfohlen, damit der Sohn mehr Spaß am Malen entwickle oder mehr in Kreativität komme, um das für das nächste Portfolio entsprechend einstufen zu können. Beim ersten Mal im Malort wird noch eine gewisse Nachsicht geübt, aber sie taten zunächst alles, was man nicht soll dort: sich gegenseitig fragen, was der Andere denn male. Das Bild kommentieren. Das Bild in einem unbeobachteten Moment fotografieren. Dass die Werke im Malort verbleiben, einfach nur achtsam aufbewahrt und weggelegt werden; dass sie sie nicht mitnehmen und aufhängen kann, das machte diese Mutter richtiggehend fassungs- und hilflos. Ich war erstaunt und traurig tief berührt von ihrer Hilflosigkeit zugleich. Es wird sicherlich ein Prozess sein, aber ich hoffe, in dieser einen Stunde in der Woche wird das Kind mit der Zeit sich selbst und sein Malspiel wiederentdecken dürfen.

Eine andere Mama aus meinen Coachings war sehr in Sorge, weil ihr Sohn Ausmalbilder nur für ihr Empfinden sehr rudimentär ausmalte. Das Malbuch (ohnehin etwas Seltsames, weil es so viel Vorgabe gibt) war für das Alter ab 3 Jahren oder von 3 bis 5 Jahre. Ihr Sohn war fast 5. Ergo hätte er „natürlich“ die fiktiv durch so eine Altersangabe aufgemachten Erwartungen erfüllen können müssen – oder ? Kann das Kind das nicht, wird nicht so eine völlig fiktive Grenze dafür verantwortlich gemacht, sondern die „Schuld“, das Defizit wird beim Kind gesucht. Oder bei sich selbst, hätte man das Kind da besser fördern müssen……?

Was können Eltern also tun?

-sich freimachen von jeglicher Erwartungshaltung an das Malen

-Stifte, Papier, Malmaterialien aller Art zur Verfügung stellen und jederzeit bereit halten

-Das Kind unbeobachtet malen lassen

-Das Gemalte nicht kommentieren bzw. versuchen, von Kommentierungen langsam wieder herunterzukommen (gerade bei Kindern, die institutionell betreut werden; in Regeleinrichtungen kommt kein Kind ohne aus) und diese im privaten Bereich langsam wegzulassen

-zum Umstieg und zur Unterstützung einen Malort besuchen (über den Malort selbst und Arno Sterns Erkenntnisse berichte ich gern ein anderes Mal hier)

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11 Kommentare, sei der nächste!

  1. Hallo,
    habe gerade den Blog-Eintrag zum Malort gelesen und mich gefragt, was so falsch ist am Aufhängen der gemalten Kinder- Bilder? Wenn ich ansonsten möglichst wertfrei versuche mit dem Malen umzugehen, was steht dem entgegen, die bunten Bilder an die Wand zu bringen??
    (unsere ganze Sitzecke in der Küche ist voll davon und wir freuen uns jedesmal beim Reinkommen und die bunten Wände)
    Danke fürs Aufklären und liebe Grüße
    Claudia

    1. Die Kinder malen als Ausdruck ihrer selbst und nicht, um eine Nachricht zu übermitteln. Entscheidend ist die Tätigkeit. Das macht man ein Stückweit kaputt, wenn man sie der Bewertung freigibt – und das passiert oft ja, wenn sie gesehen werden. Ich vergleiche das gern mit Tagebuchschreiben. Das Tagebuch (oder ggf auch die Morgenseiten o.ä.) würde ich auch nicht offen an die Wand hängen. Das ist im Ursprung etwas Intimes. Es wurde geschrieben um des Schreibens willen, nicht um gelesen zu werden. Natürlich, wir haben auch die Freude an bunten Bildern. Aber da ist große Achtsamkeit gefragt. Wir hängen manchmal einzelne, sehr alte Bilder auf, nichts Aktuelles. Schwierig ist es auch bei Geschwistern, das da niemand von aussen vergleicht.

  2. Hallo Lena!

    So schön geschrieben der Artikel!

    Und bei vielen Stellen dachte ich daran, das nicht nur auf das Malen zu beziehen, sondern es allgemein auf das Zusammenleben zu übertragen:

    Ja, ich sehe dich, du … (Springst, fährst Fahrrad, hast … entdeckt, …) (Diese Formulierung gefällt mir sehr gut! Ich drücke mich im Alltag ähnlich aus)

    Oder auch ganz konkret: ja, du/wir haben einen Lego-Turm gebaut! Jetzt können wir ihn wieder auseinander nehmen und verträumen/etwas Neues bauen (entgegen der Ansicht diverser Personen, dass man „tolle“ Dinge aufheben müsste ;-))

    Herzliche Grüße!
    Lucia

    1. Ja, das stimmt – und doch, gerade beim Malen „braucht“ es meist nicht mal das, denn im Ursprung geht es gar nicht darum, gesehen zu werden damit, es ist einfach eine Tätigkeit, die aus dem Kind herausfliesst. Wenn es von uns oder Erziehern nicht lernt, seine Bilder zu zeigen, von selbst kommt das erstmal nicht. Das Kind hat da keinen künstlerischen Anspruch.

  3. Danke für den Beitrag, er beinhaltet einige wichtige Hinweise über den Umgang mit der Kreativität von Kindern.

    Ich möchte ein paar Anmerkungen zum Thema Arno Stern machen. Arno Stern verdanken wir wichtige Anregungen verdanken – dennoch: er ist nicht der Einzigste, der auf diesem Gebiet anders gearbeitet und neue Impulse geliefert hat.
    In den guten Ausbildungen beispielsweise lernt man, dass man die kreativen Äusserungen von Kindern und Erwachsenen nicht bewerten soll und dass man bei der Aufforderung nach Beachtung des Bildes beschreibend anstatt wertend damit umgehen kann, da es in erster Linie um Aufmerksamkeit und nicht um Lob geht.
    Mir scheint, es wird ein grosses Getöse um Arno und Andre Stern gemacht, die damit im Moment nicht wenig Geld verdienen.
    Vor der Lebensleistung von Arno Stern und dem Umstand, dass er vermutlich mit seinem Malort die meiste Zeit nicht viel Geld verdient hat, sei ihm das im Alter gegönnt.
    Dennoch – die Ausbildung bei ihm hat schon fast etwas Guruhaftes an sich, die Stricktheit der Ateliers in Einrichtung und Methode ist verstörend eng und die Ausbildung exorbitant teuer.
    Der Gehalt nämlich, dass es idealerweise einen Ort geben soll, an dem man in Ruhe unbewertet und ungestört kreativ arbeiten kann, sollte man nicht auf einen reinen „Mal“ort reduzieren. Das geht mit vielen anderen Materialien auch, und die Farben müssen auch nicht in dieser Anordnung vorgestellt werden.
    Im Atelier Stern herrscht zudem manchmal eine Strenge, die – wie man in verschiedenen Videoclips beobachten kann – ich unangenehm und unfreundlich finde oder besser gesagt: übergriffig.
    Warum beispielsweise muss Stern seinen kleinen Schülern „in den Pinsel greifen“ (s. u. a. hier: https://www.youtube.com/watch?v=E9210eQ_dmY ab Min. 4:55) ?
    Sie werden früh genug, aus eigener Beobachtung und Erfahrung lernen, wie man am besten einen Pinsel hält.
    Den Ansatz Sterns kann man durchaus einbeziehen, trotzdem ist auch das längst nicht aller Tage Abend.

    Auch hier gilt: frei bleiben!

    1. Hallo Jakob, ja, das sehe ich genauso – Arno Stern bzw der Besuch meines Mannes bei ihm war nur mein Aufhänger, hier sollte es gerade nicht um den Malort gehen. Das ist im Zweifel eine Stunde in der Woche…das kann etwas auffangen, einen Neueinstieg bedeuten. Gerade, wenn vielleicht auch Betreuungseinrichtungen genutzt werden mit den entsprechenden beschriebenen Nachteilen und Einflussnahmen auf das natürliche Malen. Notwendig ist das nicht.

      1. Arno Stern war allerdings einer der wenigen, bei dem ich mich auch wiederfinde: dass es eben nicht mal um Aufmerksamkeit für das Bild geht. Das Ergebnis ist im Eigentlichen egal.

  4. Danke für den Artikel! Wir lieben es gemeinsam als Familie zum Malort zu gehen! Dann malen Mama, Papa, großes und kleines Kind. Wir lieben es, diese Tätigkeit zu teilen und doch macht jeder/jede seins.
    Wir hängen ständig Bilder von allen Familienmitgliedern auf und ab an den Wänden, aber unsere Wohnung ist eh ständig im Fluss!

  5. Ich bewundere stets die Kunstwerke meiner Tochter und zeige Fotos davon in der Verwandtschaft herum. Alles ganz falsch? Mir würde aber was fehlen, wenn ich mir das abgewöhnte. Wenn sich Malen mit dem Schreiben in ein Tagebuch vergleichen lässt, dann kann ich doch einwenden, dass es neben dem heimlichen Tagebuchschreiben auch ein Schreiben für die Öffentlichkeit geben kann. Gibt es vielleicht auch zwei Arten von Malen?

    1. Lieber Henning,
      Du schreibst es selbst – DIR würde etwas fehlen, wenn Du Dir das abgewöhntest. Es ist ein Wunsch oder Bedürfnis von Dir – zunächst nicht das Deiner Tochter, oder? Und ja, genau richtig, es gibt zwei Arten von Malen – es gibt das kindliche Malen, das einem inneren Bedürfnis folgt und letztlich auch, zumindest wenn man Arno Stern nachgeht, evtl. einer Art innerem „Plan. Und um dieses Malen ging es mir hier. Das ist das kindliche Malen, und manchmal können wir einen Teil dessen wieder auch für uns zurückerobern. Das ist das Malen ohne Ziel, ohne Zeigen und ohne künstlerischen Anspruch. Und dann ja, dann gibt es zielgerichtete Malen mit künstlerischem Anspruch. Aber der Unterschied ist in der Tat der zwischen einem Tagebuch und einem Brief oder noch stärker einem Tagebuchschreiber und dem Schriftsteller, der ein Buch schreibt.
      Und was das Malen betrifft, verwechseln wir das halt sehr häufig oder meinen, es gäbe nur das Eine. Und durch das Vorgehen z.B. bei den U-Untersuchungen oder im Kindergarten wird das kindliche Malen eben von vorneherein in eine Richtung gezwängt, in die es nicht gehört.

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